Dr. Robert Sommer

Kulturwissenschaftler · Autor · Historiker

KZ-BORDELLE / SEXUELLE ZWANGSARBEIT

↓Das Thema | ↓Das Buch | ↓Sexuelle Zwangsarbeit in Zahlen | ↓Die Dissertation |

Das Thema

1941 befahl der Reichsführer-SS und Herr über die NS-Konzentrationslager, Heinrich Himmler, die Errichtung von Bordellen für KZ-Häftlinge. Der Grund dafür waren die ökonomischen Interessen der SS. Die KZ waren nicht nur Orte des Terrors und des Massenmordes, sondern auch Stätten der Zwangsarbeit. Die SS hatte ein gewaltiges Wirtschaftsimperium aufgebaut, das Himmler und seiner SS die finanzielle Unabhängigkeit sichern sollte. Zwangsarbeit war das Rückgrat dieser Wirtschaft. Häftlinge mussten in Steinbrüchen Granit abbauen oder in Ziegeleien Klinker herstellen, welche Adolf Hitler für seine Großbauprojekte benötigte.

Das Problem war jedoch, dass die Produktivität angesichts der katastrophalen Lebensbedingungen und der permanenten Gewalt viel zu gering war. Himmler wollte Anreize für die KZ-Häftlinge schaffen und ließ Lagerbordelle errichten. Bis zum Ende des Krieges öffnete die SS in insgesamt zehn KZ Bordelle für Häftlinge: in Mauthausen, Gusen, Flossenbürg, Auschwitz-Stammlager, Buchenwald, Auschwitz-Monowitz, Dachau, Neuengamme, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora.

Frauen für Bordellkommandos rekrutierte die SS im Frauen-KZ Ravensbrück und im Frauenlager Auschwitz-Birkenau. Insgesamt waren schätzungsweise 210 Frauen in Lagerbordellen. Die meisten von ihnen waren deutscher Herkunft, andere stammten aus Polen und der Sowjetunion. Jüdische Frauen selektierte die SS nicht, denn männliche Häftlinge jüdischer Herkunft durften das Bordell nicht besuchen.

In den jeweiligen Männerlagern waren die Frauen in der Bordellbaracke eingesperrt. Wochentags nach dem Abendappell war das Bordell für zwei Stunden geöffnet, sonntags den ganzen Nachmittag. Zu den Öffnungszeiten mussten die Frauen in ihren Zimmerchen auf die Männer warten. Nach jedem Mann mussten sie sich mit Seifenlauge spülen. Sonst gab es keine Verhütung. Im Falle einer Schwangerschaft zwang die SS die Frau zur Abtreibung.

Nur einem Teil der Häftlinge war der Besuch eines Lagerbordells gestattet, den Deutschen und Österreichern, Polen, Skandinaviern und andere Westeuropäern. Jüdischen Männern und sowjetischen Kriegsgefangenen war der Bordellbesuch streng verboten. Die große Mehrheit der Häftlinge interessierte sich nicht für das Bordell. Sie litten an Hunger, waren erschöpft oder lehnten einen Bordellbesuch aus moralischen Gründen ab.

Fast alle Frauen überlebten die KZ-Bordelle, denn die Lebensbedingungen waren dort hinsichtlich der Versorgung und der hygienischen Bedingungen besser als etwa in Ravensbrück. Auch machten männliche Häftlinge den Frauen Geschenke – natürlich für Gegenleistungen – wodurch die Frauen mehr Nahrungsmittel bekamen. Doch da waren die „verfluchten Stunden am Abend“, wie Frau W., eine ehemalige Sex-Zwangsarbeiterin aus dem KZ Buchenwald die Öffnungszeiten des Bordells nannte. Sie überlebte das Bordell und die KZ-Haft, aber zu welchem Preis. „Heute lebe ich noch, aber wie“, sagte sie 1990 in einem Interview, wenige Wochen vor ihrem Tode.

Das Buch

Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern

2. Auflage 2010, 445 Seiten + 16 Seiten Bildtafeln mit 31 s/w-Abb., Festeinband ISBN: 978-3-506-76524-6

Cover

Klapptext

Dies ist die erste Gesamtdarstellung eines Themas, das bislang weitgehend im Verborgenen geblieben ist: die Zwangsprostitution im Lagersystem der SS. Die Forschung hat das wie mit einem Tabu belegte Thema der sexuellen Gewalt im KZ bis heute meist ausgeklammert. Robert Sommer hat für seine Arbeit in allen relevanten Archiven recherchiert, er hat sogar Interviews mit Überlebenden führen können. Sein grundlegendes Buch zeichnet das Bild einer bisher unbekannten Realität des Schreckens. (...)

Die umfassende Darstellung beschreibt detailliert die Gründe für die Einrichtung der Lagerbordelle, ihre Funktion im System der Konzentrationslager, die Organisation des Bordellbetriebs, die Reaktionen der Häftlingsgesellschaft auf die »Sonderbauten« – so die offizielle Bezeichnung der Bordelle -, die Lebensbedingungen und die Überlebensstrategien der Frauen, die Motive der Bordellbesucher sowie den Ablauf ihrer Besuche. Darüber hinaus stellt der Autor die Lagerbordelle in den Kontext der Erscheinungsformen und der Bedeutung von Sexualität im KZ.

Presse

"Dass Bordelle in Sachsenhausen, Dachau und selbst in Auschwitz existierten, dass dort weibliche KZ-Gefangene zur Prostitution gezwungen wurden, gehört bis heute zu den wenig bekannten Aspekten des Nazi-Terrors. Doch in den vergangenen neun Jahren hat der Berliner Kultutwissenschaftler Robert Sommer, 34, weltweit in den Archiven und KZ-Gedenkstätten recherchiert und zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen geführt. So leistet seine im Juni erscheinende Dissertation erstmals eine umfassende wissenschaftliche Übersicht dieser "besonders perfiden Form der Gewalt in den KZ".Mareike Fallet, Simone Kaiser: "Hauptsache du überlebst" (Der Spiegel, 25.05.2009) Artikel als PDF / Interview mit Robert Sommer auf SPIEGEL ONLINE

Am heutigen Mittwoch stellt der Kulturwissenschaftler Robert Sommer (34) im Berliner Abgeordnetenhaus seine neuen Forschungsergebnisse über die Zwangsprostitution in nationalsozialistischen Konzentrationslagern vor – darunter auch im KZ Neuengamme vor den Toren Hamburgs. Damit rückt eine bislang unbekannte Facette des Nazi-Terrors in den Fokus der Aufmerksamkeit, die vergessen, verdrängt oder jahrzehntelang tabuisiert war. Nicht zuletzt deshalb, weil die weiblichen Häftlinge nach ihrer Befreiung aus Scham darüber geschwiegen hatten.
Edgar S. Hasse: Das KZ-Bordell von Neuengamme (Die Welt, 19.08.2009) Artikel auf DIE WELT ONLINE

Rezensionen

Robert Sommers Studie über KZ-Bordelle verdient großen Respekt. Die Lektüre dieses Buches führt den Leser direkt ins Herz der Finsternis. Uneingeschränkte Bewunderung gilt dem Autor Robert Sommer für seinen Mut.
Hans-Martin Lohmann, Die Zeit, 10.09.2009 Rezension als JPG

This comprehensive survey of the bizarre phenomenon of concentration camp brothels is written with much sympathy for the employed prisoners: “sexual forced laborers” (Sex-Zwangsarbeiterinnen) who were excluded, as “prostitutes,” from the type of compensation granted to many other victims of Nazi persecution after the war. Robert Sommer punctures many myths."
Geoffrey J. Giles, German Studies Review Volume 35, Number 1, February 2012. pp. 206-207 Link zur Rezension

"There is not much to criticize in the groundbreaking and impressively thorough study. Sommer is too solid a historian to overstate his findings about the absence of Jewish women in the camp brothels or to engage in the lager and heavily controversial discussion on whether, and if so to what degree, Jewish women were subjugated to rape or other forms of sexual violence by Germans or other men during the Holocaust. (…) Sommer’s book may serve as a model of how to proceed.” *** Thomas Kühne, Central European History,*** 45 (2012): 593-595. Link zur Rezension

weitere Rezensionen / Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier / Raiko Hannemann / Katharina von Kellenbach / Karen Holtmann / fachbuch journal Seite 1 & Seite 2 / Helga Amesberger Seite 1 & Seite 2 & Seite 3 & Seite 4

Sexuelle Zwangsarbeit in Zahlen

Insgesamt sind 174 weibliche Opfer der Bordelle in Konzentrationslagern namentlich bekannt. Die Gesamtzahl der Opfer der Frauen die von der SS in einem Lagerbordell oder einem Bordell für ukrainische Wachmänner in einem KZ zur Prostitution gezwungen wurden, wird auf 210 Frauen geschätzt.

Zahl der Opfer und Angaben zu Herkunft, Haftgrund und Alter als PDF

Dissertation

Zum Thema Sex-Zwangsarbeit hat Robert Sommer bei Prof. Dr. Hartmut Böhme im Fach Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. Für die Arbeit erhielt der die Note "Summa cum laude". Seine Doktorarbeit wurde 2009 im Schöningh-Verlag veröffentlicht und liegt in der zweiten Auflage vor.